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Tatort (TV-Krimireihe) - Prof. Stefan Scherer

  • Der Professor am Department für Neuere Deutsche Literatur des KIT untersucht, wie die ARD-Krimireihe soziale Entwicklungen und regionale Lebensverhältnisse widerspiegelt. Dazu analysiert er Hunderte von Folgen.

Der "Tatort" als fortlaufender Gesellschaftsroman

Martin Lober, KIT

Der Mord zum Sonntag zieht jedes Mal Millionen von Zuschauern an und liefert am Montagmorgen Gesprächsstoff für Frühstückstische, Büropausen, Medienkolumnen und soziale Netzwerke: Seit über 50 Jahren läuft die Krimireihe „Tatort“ in der ARD. Es begann im November 1970 mit „Taxi nach Leipzig“; seitdem wurden über 1200 Folgen ausgestrahlt (Stand: August 2022). „Der Tatort ist einzigartig in der deutschen Fernsehlandschaft“, erklärt Stefan Scherer. „Die Reihe erzielt Quoten, die nur noch von der Tagesschau oder großen Sportereignissen übertroffen werden. Dabei erreicht sie sämtliche Generationen.“

Stefan Scherer, Professor am Institut für Germanistik: Literatur, Sprache, Medien, ist einer der führenden „Tatort“-Forscher Deutschlands: Gemeinsam mit Professorin Claudia Stockinger und Dr. Christian Hißnauer von der Humboldt-Universität Berlin hat er untersucht, wie die Reihe gesellschaftliche Entwicklungen und regionale Lebensverhältnisse widerspiegelt. Einzigartig macht den „Tatort“ vor allem seine föderalistische Struktur, wie Scherer erläutert: Jeder Sender der ARD steuert eine oder mehrere Serien bei, die oft, jeweils stärker oder schwächer, auch regional geprägt sind. „Indem man neue Serien, etwa mit dem Schauplatz Schwarzwald im SWR, einführt, werden immer wieder neue Konzepte erprobt und durchgespielt, in denen sich Mentalität und Lebensstil der jeweiligen Zeit widerspiegeln.“ Damit funktioniert der „Tatort“ nach den Worten Scherers „wie ein fortlaufender Gesellschaftsroman der Bundesrepublik seit 1970“.

Wie sich die Krimireihe in den vergangenen Jahrzehnten entwickelt hat, untersucht das Forschungsteam anhand von rund 500 Folgen. Sie erstellen Inhaltsanalysen nach einem festen Beobachtungsraster und erfassen statistisch Kriterien wie Ermittlungszeit, Rauminszenierung und Opferwahl auf drei Ebenen – Folge, Figuren/Räume, Verweise/Selbstthematisierung. Zusätzlich erforschen sie einzelne Aspekte, beispielsweise die Reflexion von Technik. Eine Folge in allen Kategorien zu bearbeiten, erfordert rund acht Stunden, wie Scherer berichtet.

Was hat sich am „Tatort“ seit den 1970er Jahren verändert? „Die Reihe ist vielfältiger und experimenteller geworden“, stellt der Wissenschaftler fest. „Was die Bildästhetik betrifft, nähern sich viele Folgen dem Spielfilm an. Die seit 1978 auch weiblichen Ermittler sind zunehmend individueller dargestellt; sie sind in ihr Milieu eingebunden und auch ihr Privatleben wird thematisiert. Immer stärker spielt der ‚Tatort‘ auch mit Filmgenres, so in der Serie des Hessischen Rundfunks mit dem Ermittler Murot.“ Der Wandel der Reihe im Kontext der Zeit lässt sich deutlich an den Ermittlern in den „Tatort“-Serien des WDR erkennen, wie Scherer darlegt: vom bundesweit und im angrenzenden Ausland ermittelnden Zolloberinspektor Kressin als James-Bond-Parodie über den nüchternen Essener Kommissar Haferkamp, den fluchenden und sich prügelnden Duisburger Kommissar Schimanski und den mürrischen Einzelgänger Flemming in Düsseldorf bis hin zu den gegensätzlichen Charakteren Ballauf und Schenk in Köln, dem problematischen Faber in Dortmund sowie zum Duo Thiel und Boerne in Münster, das komödiantische Elemente in die Krimireihe einbringt. (or)

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Fotonachweis:
Foto Tatort: Martin Lober, KIT
Foto Prof. Stefan Scherer, Institut für Germanistik: Martin Lober, KIT