Expertinnen und Experten des KIT zum Wissenschaftsjahr 2023 – Unser Universum

  • Datum: 22.06.2023
  • Ob Dunkle Materie, „Geisterteilchen“ oder kosmische Strahlung – unser Universum steckt noch immer voller Geheimnisse. Forschende des Karlsruher Instituts für Technologie (KIT) wollen ihnen mit experimentellen Arbeiten und theoretischen Ansätzen auf die Spur kommen. Sie bauen und betreiben etwa das Großexperiment KATRIN zur Bestimmung der Neutrinomasse auf dem Gelände des KIT. Sie untersuchen die Komponenten der höchstenergetischen kosmischen Strahlung mit dem Pierre-Auger-Observatorium in Argentinien, tragen zum Verständnis des Higgs-Teilchens bei, das Materie ihre Masse verleiht, und beschäftigen sich mit grundlegenden Fragen zur Zusammensetzung der Materie und des Universums. Ihre aktuelle Forschung stellen sie auch im laufenden Wissenschaftsjahr 2023 – Unser Universum des Bundesministeriums für Bildung und Forschung vor.

     

     

    Dunkle Materie

     

    Weltweit versuchen Forschende, die Eigenschaften der Dunklen Materie aufzuspüren– sie macht über 80 Prozent des Materieinhalts des Universums aus. Astrophysikalische und kosmologische Beobachtungen liefern starke Hinweise auf ihre Existenz, vom Rotationsverhalten von Spiralgalaxien über den Zusammenhalt von Galaxienhaufen bis zur Entwicklung der Strukturen im Kosmos. „Ohne Dunkle Materie sähe unser Universum heute ganz anders aus”, sagt Professorin Kathrin Valerius vom Institut für Astroteilchenphysik des KIT, und ergänzt: „Im Standardmodell der Elementarteilchen haben wir keine Erklärung – es könnte sich also um neue, bisher unentdeckte Teilchen handeln.” Zu den Forschungsschwerpunkten am KIT gehören drei verschiedene Wege, die Natur der unbekannten Materie zu ergründen: durch Detektoren tief unter Tage, die seltene Wechselwirkungen der Dunklen Materie direkt nachweisen sollen, durch kosmische Botenteilchen, die auf Spuren Dunkler Materie hinweisen, oder mittels Teilchenkollisionen an Beschleunigeranlagen.

     

     

    Neutrinos

     

    Mit KATRIN, der empfindlichsten Waage der Welt, forscht das KIT in internationaler Zusammenarbeit daran, die Masse des Neutrinos, eines extrem leichten, elektrisch neutralen und schwach wechselwirkenden Elementarteilchens, mit bisher unerreichter Genauigkeit zu bestimmen. „Neutrinos haben möglicherweise kurz nach dem Urknall durch ihre Eigenschaften dafür gesorgt, dass es eine kleine Präferenz für normale Materie gibt“, sagt Professor Guido Drexlin vom Institut für Experimentelle Teilchenphysik am KIT. „Wäre gleich viel Materie wie Antimaterie entstanden, hätten sich diese gegenseitig zerstört und unser Universum wäre nur mit Strahlung erfüllt.“ Neutrinos spielen auch als „kosmische Architekten“ eine wichtige Rolle bei der späteren Gestaltung der sichtbaren Strukturen des Kosmos wie der Bildung der Galaxien. 150 Forschende aus 20 Institutionen in sieben Ländern sind an der KATRIN-Kollaboration beteiligt, die Hälfte von ihnen sind Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler des KIT.

     

     

    Theoretische Astroteilchenphysik

     

    Mit dem Zusammenspiel von Elementarteilchenphysik und Kosmologie beschäftigt sich die theoretische Astroteilchenphysik. Sie sucht nach Lösungen für fundamentale Fragen, etwa wie die Materie kurz nach dem Urknall entstanden ist oder über die wichtigsten Bestandteile des Universums. Am KIT werden dazu verschiedene Aspekte der Neutrinophysik sowie der Dunklen Materie untersucht. So erfordert die Erkenntnis, dass Neutrinos eine Masse haben, eine Erweiterung des Standardmodells der Elementarteilchenphysik, das die Bausteine der Materie und die zwischen ihnen wirkenden Kräfte beschreibt. „Durch die Erforschung von Neutrinos erwarten wir wichtige Erkenntnisse zu einer neuen fundamentalen Theorie der kleinsten Bestandteile der Materie und ihren Wechselwirkungen“, erläutert Professor Thomas Schwetz-Mangold, Leiter der Arbeitsgruppe Theoretische Astroteilchenphysik am KIT. „Außerdem betrachten wir verschiedene Hypothesen für die Dunkle Materie und berechnen Vorhersagen, wie diese Hypothesen experimentell überprüft werden können.“

     

     

    Kosmische Strahlung

     

    Am Pierre-Auger-Observatorium in Argentinien läuft das weltweit größte Experiment zur Messung kosmischer Strahlung. Kosmische Strahlung besteht aus Teilchen, die mit unterschiedlicher Energie auf die Erdatmosphäre treffen und dort durch Kollision Luftschauer mit vielen Milliarden Teilchen auslösen können. Insbesondere die höchstenergetische Komponente der kosmischen Strahlung ist für die Forschenden von vielen Geheimnissen umgeben. Kosmische Teilchen sind Botschafter, durch die sich etwas über extreme Objekte des Universums – beispielsweise aktive Galaxienkerne – und die darin ablaufenden Prozesse lernen lässt. „Wir wissen seit vielen Jahren, dass es im Kosmos hochenergetische Teilchen gibt. Wollten wir auf der Erde Teilchen so viel Energie verleihen, müssten wir Beschleuniger bauen, die den Umfang der Umlaufbahn des Merkurs haben – also etwas mehr als 57 Millionen Kilometer lang“, sagt Professor Ralph Engel, Leiter des Instituts für Astroteilchenphysik am KIT und wissenschaftlicher Sprecher der Pierre-Auger-Kollaboration. Die Forschenden wollen ergründen, wo die Quelle dieser Beschleunigung liegt, und verstehen, wodurch die Natur es schafft, die Teilchen so stark zu beschleunigen – sind es superschwere schwarze Löcher, sich sehr schnell drehende Neutronensterne oder sternbildende Galaxien?

     

     

    Higgs-Teilchen

     

    Eines der spannendsten Elementarteilchen, der grundlegenden Bausteine der Materie, ist das Higgs-Teilchen, das in den 1960er-Jahren theoretisch vorhergesagt wurde. Den experimentellen Nachweis konnten Physikerinnen und Physiker schließlich in 2012 mithilfe des Teilchenbeschleunigers Large Hadron Collider (LHC) am europäischen Forschungszentrum CERN erbringen. Im Jahr darauf erfolgte die Auszeichnung der Theorie mit dem Physik-Nobelpreis. An allen Phasen des Experiments waren und sind Forschende des KIT maßgeblich beteiligt. „Das Higgs-Teilchen verleiht allen anderen Teilchen ihre Masse und ist das letzte Puzzlestück, das im sogenannten Standardmodell der Teilchenphysik zur Beschreibung der Materiebausteine und ihrer Wechselwirkungen noch gefehlt hatte“, sagt Professor Markus Klute vom Institut für Experimentelle Kernphysik des KIT, der mit seiner Gruppe in den USA wesentlich zur Entdeckung des Higgs-Bosons beigetragen hat. Beendet sei die Forschung am Higgs-Teilchen noch lange nicht. „Wir wollen das Higgs-Teilchen besser und vor allem breiter verstehen: Welche Eigenschaften hat es? Welche Prozesse unterstützt es? Wie koppelt es sich an andere Teilchen? Gibt es Teilchen, die ihm gleichen? Am Ende möchte ich herausfinden, wo die Grenzen unseres Verständnisses liegen.“

     

     

    Teilchenbeschleuniger

     

    In der Grundlagenforschung spielen Teilchenbeschleuniger eine bedeutende Rolle, bei der Untersuchung der grundlegenden Bausteine der Materie ebenso wie für vielfältige wissenschaftliche, medizinische und industrielle Anwendungen. Die Accelerator Technology Platform (ATP) am KIT, in die rund 200 Forschende verschiedenster Fachdisziplinen aus 14 Instituten des KIT ihr Wissen einbringen, will die Beschleunigertechnologie von morgen entwickeln. „Das multidisziplinäre Vernetzungsmodell ist europaweit einzigartig. Es nutzt Erkenntnisse aus allen Fächern, schafft damit Neues und transferiert das in andere Forschungscommunitys innerhalb und außerhalb des KIT – von Methoden der Künstlichen Intelligenz bis hin zum Bau energieeffizienter Magnete“, erläutert Professorin Anke-Susanne Müller, Leiterin des Instituts für Beschleunigerphysik und -technologie am KIT und Sprecherin der ATP. Ein Ziel der Technologieplattform ATP ist es, wesentlich kleinere und kompaktere Beschleuniger und Forschungsinfrastrukturen zu entwickeln und deren Energieeffizienz zu optimieren. Für die Entwicklung und Erprobung neuer Komponenten stehen am KIT unter anderem der Forschungsbeschleuniger FLUTE und die Beschleunigertestanlage KARA zur Verfügung. Im neuen Testfeld KITTEN für Energieeffizienz und Netzstabilität in großen Forschungsinfrastrukturen hat das KIT KARA mit dem Energy Lab 2.0 zusammengebracht.

     

    Diese und weitere Expertinnen und Experten sowie Fotos, Videos und Presseinformationen zum Thema „Unser Universum“ finden Sie im aktuellen Dossier des KIT zum Wissenschaftsjahr 

     

    Für Interviewwünsche oder weiterführende Informationen stellt der Presseservice des KIT gern den Kontakt zu den Expertinnen und Experten her. Bitte wenden Sie sich an Dr. Joachim Hoffmann, E-Mail: joachim.hoffmann@kit.edu, Tel.: 0721 608-41151.

     

    Im Portal Expertinnen und Experten des KIT finden Sie weitere Ansprechpersonen aus der Wissenschaft.