ForschungsbildFeng Yu - stock.adobe.com

Politikgeschichte – Prof. Rolf-Ulrich Kunze

  • Der Neuzeithistoriker am Department für Geschichte am Institut für Technikzukünfte (ITZ) tritt für eine Geschichtswissenschaft ein, die Orientierung in aktuellen politischen Fragen bietet.

     

Politikgeschichte als allgemeine politische Geschichte der Gegenwart

Portraet Kunze Markus Breig, KIT

„Relevante Politikgeschichte muss nicht nur zurückliegende, sondern auch aktuelle einschneidende politische Ereignisse kommentieren und in einen historischen Kontext einordnen, kurz, in öffentlichen Debatten Orientierung bieten“, sagt Rolf-Ulrich Kunze. Ein solches Ereignis sei etwa der russische Angriffskrieg in der Ukraine, der, so der Experte, auch die Geschichtswissenschaften in eine Zeitenwende geführt habe. „Viele im deutschen Medien-, Politik- und Wissenschaftsbetrieb sowie in der Öffentlichkeit waren angesichts der Geschehnisse lange ungläubig und erstaunt. Dabei lässt sich das von Wladimir Putin seit vielen Jahren programmatisch angekündigte Geschehen wissenschaftlich beschreiben, vergleichen und einordnen.“ Dazu nutzen Forschende wie er vor allem öffentlich zugängliche Quellen wie politische Verlautbarungen oder Medienberichte, die sie mit dem nachlesbaren historischen Wissen über die Geschichte Russlands und der UdSSR sowie anderer Diktaturen vergleichen.

„Die grundlegenden Fragen des Politischen, wie die nach Krieg und Frieden, Demokratie und Diktatur oder Gerechtigkeit und Gleichheit, sind urplötzlich wieder relevant“, so Kunze. Aufgabe der Geschichtswissenschaften sei daher die zeitgeschichtliche Kontextualisierung, das heißt das Herausarbeiten und Aufzeigen von Unterschieden und Parallelen etwa zwischen der Zeit vor dem Krieg in der Ukraine und der Zeit vor dem Zweiten Weltkrieg in Europa. Wesentlich dafür sei auch die genaue Analyse der Entwicklung nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion im Jahr 1989. Damals habe sich beispielsweise die These vom „Ende der Geschichte“ weit verbreitet, die davon ausging, dass sich Demokratie und Marktwirtschaft durchsetzen würden. Zugleich war die Erwartung, dass der allgemeine Wohlstand mit der Entlastung der Staatshaushalte durch sinkende Rüstungs- und Verteidigungsausgaben steigen werde. So einfach sei es aber nicht, sagt Kunze. „Denn Geschichte wiederholt sich nicht, noch verschwindet sie!“ Durch die historische Analyse von Demokratien und Diktaturen des 20. Jahrhunderts lasse sich aber besser verstehen, woran Demokratien scheitern, wie Diktaturen agieren und welche politischen Schlüsse daraus zu ziehen sind. „Dazu gehört die Erkenntnis, dass Diktaturen nur vor ihrer Entstehung zu verhindern sind und sich Demokratien niemals von Diktaturen politisch erpressen lassen dürfen“, erläutert der Professor für Neuere und Neueste Geschichte.

Angesichts dessen müsse die politische Geschichtswissenschaft auch wieder Orientierungswissenschaft für die Politik sein, fordert er. „Denn eine politikgeschichtliche Sicht auf Politik kann in politischen und gesellschaftlichen Debatten eine wertvolle Orientierungshilfe bieten“, ist der Geschichtswissenschaftler überzeugt. Die politische Geschichte biete Orientierungswissen für alles an, was die politische Organisation des Gemeinwesens nach innen und außen betrifft. Sie erschließe so einen einmaligen Fundus an politischer Erfahrung der Universalgeschichte für die Lösung politischer Probleme heute. „Diesen Fundus nicht praktisch zu nutzen, ist Wissensverschwendung“, mahnt Kunze. (mex)

Der Presseservice des KIT stellt gerne den Kontakt zwischen den Medien und Prof. Rolf-Ulrich Kunze her.

 

Fotonachweis:
Foto „History“: Feng Yu - stock.adobe.com
Porträt: Prof. Rolf-Ulrich Kunze, IKFT: Markus Breig, KIT