Zukunftsstadt: Wissenschaftsjahr 2015

  • Datum: 19.02.2015
  • Sehr geehrte Damen und Herren,

     

    die Urbanisierung hat den Planeten Erde nachhaltig verändert und tut es noch immer. Heute leben weltweit mehr Menschen in Städten als auf dem Land. Im stark urbanisierten Europa ist der Unterschied noch deutlicher: So sind etwa in Deutschland heute zwei von drei Einwohnern Stadtbewohner.
    Besonders hier – in Städten und Ballungsräumen wie dem Ruhrgebiet, Berlin oder Hamburg – treffen die großen Herausforderungen der Zukunft geballt aufeinander: steigender Energiebedarf, Klimaveränderungen, Mobilität und Verkehr, bezahlbares Wohnen, gute Arbeitsbedingungen, demografischer Wandel und Zuwanderung.
    Heute hat die Bundesministerin für Bildung und Forschung Johanna Wanka in Berlin das Wissenschaftsjahr 2015 „Zukunftsstadt“ eröffnet. Im Mittelpunkt steht dabei die Stadtforschung, die Voraussetzung für eine nachhaltige Stadtentwicklung ist. Am KIT beschäftigen sich Forscherinnen und Forscher unterschiedlichster Disziplinen mit den Herausforderungen in den Städten der Zukunft.

     

    Smart City und Datensicherheit

    Die Stadt wird zunehmend „smart“ – intelligente Häuser, die Beleuchtung und Heizung regeln, Haushaltsgeräte, die miteinander reden, Ampeln, die auf den Verkehrsfluss reagieren. „Die physische Welt und die digitale Welt wachsen zusammen. Das smarte Internet der Dinge macht unseren Alltag komfortabler und trägt dazu bei, Ressourcen zu sparen“, sagt Prof. Martina Zitterbart, Leiterin des Instituts für Telematik am KIT. Für die intelligente Steuerung sind unter anderem drahtlos vernetzte Sensoren im Einsatz, die fleißig Daten sammeln und diese typischerweise über das Internet an einen zentralen Datenspeicher senden. Übermitteln nun zum Beispiel smarte Stromzähler in einem Hochhaus den Verbrauch an den Energieanbieter, könnte dieser etwa ermitteln, wann ein einzelner Bewohner die Kaffee- oder Waschmaschine anschaltet und so ein detailliertes Profil seiner Lebensgewohnheiten erstellen. Auch beim Smart Traffic, der intelligenten Steuerung von Verkehrsflüssen, wird einer Zentrale preisgegeben, wo sich ein konkreter Verkehrsteilnehmer mit seinem Fahrzeug zu einer bestimmten Zeit befindet.

     

     „Das Internet weiß möglicherweise mehr über mich als ich selbst“, sagt Martina Zitterbart. Die Informatikerin sucht deshalb mit ihrer Forschungsgruppe nach Lösungen, bei denen Sensoren auch weiterhin wertvolle Informationen liefern können und trotzdem die Privatheit der Nutzer gewährleistet wird. „Es geht darum, Information zu verschleiern, um die Rückführung zu erschweren“, erläutert Zitterbart, die unter anderem am Kompetenzzentrum für Angewandte Sicherheitstechnologie (KASTEL) am KIT forscht.

     

    Weitere Informationen zur Forschung von Martina Zitterbart:

    http://telematics.tm.kit.edu/forschung.php
    http://www.kastel.kit.edu/

     

    Stadtökologie und Urbane Geochemie

    Städte sind keineswegs „naturfreie Zonen“, sondern komplexe Ökosysteme mit einem weitgehend unbekannten Wirkungsgefüge. „Hier treffen einheimische auf eingewanderte Arten. Hier müssen sich Arten auf spezifische Bedingungen, wie häufig höhere Temperaturen und niedrigere Luftfeuchten, Lärm, Luftverschmutzung und Versiegelung einstellen“, sagt der Geoökologe Dr. Stefan Norra vom Institut für Angewandte Geowissenschaften. „Diese Kombination macht ihre Einzigartigkeit als urbane Ökosysteme aus, die außerhalb von Städten so nicht vorkommen.

     

    Stefan Norra befasst sich unter anderem mit der wissenschaftlichen Bewertung der „Dienstleistungen“ urbaner Ökosysteme. So bieten etwa Grün- und Freiflächen Rückzugsmöglichkeiten für seltene Pflanzen und Tiere, besitzen aber zugleich auch Erholungswert für die Stadtbewohner. „Der Mensch als Stadtbewohner ist dabei ein wichtiger Bestandteil dieser urbanen Ökosysteme. Unsere stadtökologische Forschung dient deshalb als Grundlage für eine gesunde und lebenswerte Stadtentwicklung, die allen Beteiligten nützt“, erklärt der Wissenschaftler.

     

    Darüber hinaus beschäftigt sich Stefan Norra mit urbaner Geochemie, also den Stoffflüssen einer Stadt auf der Ebene der chemischen Elemente und deren Verbindungen. „Städte mit ihren Infrastruktureinrichtungen, Industrieanlagen und Gebäuden bilden für viele Substanzen Senken. In diesem Zusammenhang erforschen wir unter anderem, inwieweit diese Senken sich für eine nachhaltige Ressourcennutzung verwenden lassen – das sogenannte Urban Mining“, erläutert der Wissenschaftler. Die Analysen der Karlsruher zu den Stoffflüssen durch Wasser, Boden, Luft und Lebewesen helfen außerdem dabei, etwa den Einfluss verschmutzter Gewässer und Luft auf die Gesundheit der Stadtbewohner sowie den Beitrag von Städten zu globalen Klimaveränderungen zu erforschen.

     

    Weitere Informationen zur Forschung von Stefan Norra:

    http://www.img.kit.edu/3952.php

     

    Wasserversorgung in der Stadt

    Trinkwasser aus dem Hahn gehört in westlichen Industrienationen wie Deutschland zu den absoluten Selbstverständlichkeiten des Alltags. Doch am Beispiel Großbritannien wird deutlich, dass Wassermangel nicht nur in Entwicklungsländern ein Thema ist: So verhängte die britische Regierung nach einem besonders trockenen Winter im Frühjahr 2012 harte Wassersparmaßnahmen wie etwa ein „Gartenschlauch-Verbot“. Vom Wassermangel besonders betroffen war der Großraum London wegen seines maroden Leitungsnetzes voller Lecks: Bis zu einem Viertel des Wassers versickert dort ungenutzt im Untergrund der britischen Hauptstadt.

     

    „Auch in deutschen Städten sind solche Wasserverluste ein Thema, denn kein Rohrnetz ist wirklich zu 100 Prozent dicht“, sagt Dr. Phillip Klingel vom Institut für Wasser und Gewässerentwicklung (IWG). „Mit im Schnitt unter 10 Prozent Verlusten stehen deutsche Städte zwar vergleichsweise sehr gut da, doch sind die Leckagen mit einem erhöhten Betriebsmittelaufwand und Energieverbrauch für die zusätzlich benötigte Leistung der Förderpumpen verbunden.“ Viele deutsche Städte wie etwa Bonn oder Pforzheim wenden sich deshalb an Experten wie Phillip Klingel, der unter anderem Systeme entwickelt, mit denen Wasserverluste ermittelt und bewertet werden können. Ihr Wissen wenden die Karlsruher auch weltweit an, so zum Beispiel in Indien und Indonesien. „In vielen Metropolen der Entwicklungs- und Schwellenländer liegen die Verluste durch Lecks und Wasserdiebstahl bei über 50 Prozent“, sagt Phillip Klingel, „während es in Deutschland also um Effizienzsteigerung und die Vermeidung von CO2-Emissionen geht, ist ein gutes Wasserverlustmanagement in Entwicklungs- und Schwellenländern oft überlebenswichtig.“

     

    Weitere Informationen zur Forschung von Phillip Klingel:

    http://wasserversorgung.iwg.kit.edu/
    http://www.iwg.kit.edu/

     

    Residentielle Multilokalität und ihre Folgen

    Das Leben in der europäischen Stadt hat sich im Laufe der Jahrhunderte stark verändert. Während die Städte des Mittelalters noch aus übersichtlichen Lebensgemeinschaften bestanden, die sich weitgehend selbst aus ihrem unmittelbaren Umland versorgten, ist die Großstadt der Postmoderne alles andere als übersichtlich und autonom. Sie ist ein weitläufiger Agglomerationsraum und mehr Landschaft als Ort. Ihr komplexes Netzwerk aus Transport- und Informationswegen reicht weit über ihr unmittelbares Einzugsgebiet hinaus in die Welt. Für die Bewohner einer Stadt bedeutet diese Globalisierung vor allem eines – eine massive Ausweitung ihres Kommunikations- und Aktionsraumes durch eine verbesserte Infrastruktur.

     

    „Eine Folge davon sind multilokale Lebensformen. Menschen können in einer Stadt wohnen, in einer anderen arbeiten, in wieder einer anderen ihre Freizeit verbringen“, erklärt Prof. Caroline Kramer vom Institut für Geographie und Geoökologie IfGG. „Zwar können sie dadurch deutlich mehr Angebote nutzen, doch entstehen auch Nachteile. Die Infrastruktur wird durch die hohe Mobilität mehr belastet. Mehr Energie wird verbraucht, durch Zweitwohnungen am Arbeitsort steigt der Flächenbedarf. Ganze Stadtviertel verändern sich und ihr Bildungs-, Kultur- und Einzelhandelsangebot, wenn sie etwa von Studierenden und pendelnden Angestellten erschlossen werden, die in der Woche ein- und an den Wochenenden ausfliegen.“

     

    Die von Caroline Kramer geleitete Arbeitsgruppe Humangeographie setzt sich unter anderem mit den Folgen zunehmender residentieller Multilokalität auseinander. Mit empirischen Analysen schaffen sie die Grundlage für eine zukunftssichernde räumliche Planung und für die Lösung raumbezogener Konflikte.

     

    Weitere Informationen zur Forschung von Caroline Kramer:

    http://www.ifgg.kit.edu/gesellschaft/forschung.php

     

    Quartier Zukunft – Labor Stadt

    Stadtneugründungen und massive Stadterweiterungen sind insbesondere in Asien und Afrika noch immer von großer Bedeutung. Im bereits stark urbanisierten Europa dagegen geht es bei der Stadtentwicklung vor allem um behutsame Eingriffe in bereits bestehende Stadtstrukturen. Städte unter dem umfassenden Leitbild der Nachhaltigkeit weiterzuentwickeln, ist in Politik und Forschung weitgehend Konsens. Die Wege hin zu einer nachhaltigen Stadt hingegen sind vielfältig und weitgehend offen.
    Dr. Oliver Parodi und sein multidisziplinär besetztes Team gehen im Projekt Quartier Zukunft – Labor Stadt der Frage nach, wie bestehende europäische Städte in nachhaltige Lebensräume transformiert werden können. Als „Labor Stadt“ dient dabei ein bestehendes Quartier in der Stadt Karlsruhe, die in diesem Jahr ihren 300. Geburtstag feiert.

     

    Das Team um Oliver Parodi arbeitet dabei in Karlsruhe eng mit der Bürgerschaft, Politik und Verwaltung, Schulen, Unternehmen und weiteren lokalen Akteuren zusammen und stößt im Rahmen eines intensiven Dialogs Projekte für eine nachhaltige städtische Zukunft an. Zentrales Element ist dabei, wissenschaftliches Knowhow mit lokalem Wissen zu verknüpfen. Der Stadtraum wird so zum gemeinsamen Experimentierraum, einem Ort, an dem Zukunft gemeinsam ausprobiert wird. „Unsere Gesellschaft wird sich nur nachhaltig entwickeln, wenn alle Beteiligten die Entwicklung mitgestalten“, ist Oliver Parodi überzeugt.

     

    Weiterführende Informationen zur Forschung von Oliver Parodi:

    http://www.itas.kit.edu/num_lp_paro11_quazu.php
    www.quartierzukunft.de

     

    Für weitere Informationen stellt die Abteilung Presse gern den Kontakt zu den Experten her. Bitte wenden Sie sich an Nils Ehrenberg, Tel. 0721 608-48122, E-Mail: nils.ehrenberg@kit.edu, oder an das Sekretariat der Abteilung Presse, Tel. 0721 608-47414, E-Mail: presse@kit.edu.

     

    Im Portal „KIT-Experten“ finden Sie weitere Ansprechpartner zu Highlights der KIT-Forschung und tagesaktuellen Themen:

    http://www.pkm.kit.edu/kit_experten.php

     
    Mit freundlichen Grüßen

     

    Karlsruher Institut für Technologie (KIT)
    Presse, Kommunikation und Marketing
    Presse

     

    Monika Landgraf
    Pressesprecherin

     

    Kaiserstraße 12
    76131 Karlsruhe
    Telefon: +49 721 608-47414
    Fax: +49 721 608-43658
    E-Mail: monika.landgraf@kit.edu
    www.kit.edu

     

    Als zertifizierte Universität und Großforschungseinrichtung fördert und praktiziert das KIT die Vereinbarkeit von Beruf, Studium und Familie.
    KIT - Universität des Landes Baden-Württemberg und nationales Forschungszentrum in der Helmholtz-Gemeinschaft