Armin Grunwald: Endlagerkommission übergibt Abschlussbericht

  • Datum: 04.07.2016
  • Sehr geehrte Damen und Herren,

    die Kommission „Lagerung hoch radioaktiver Abfallstoffe“, auch Endlagerkommission genannt, übergibt morgen am 5. Juli 2016 um 14:30 Uhr nach zwei Jahren Arbeit ihren Abschlussbericht an den Präsidenten des Deutschen Bundestages, Norbert Lammert. Unter den 33 Mitgliedern in der Kommission war auch Armin Grunwald vom KIT, der über die Wechselwirkungen zwischen wissenschaftlich-technischem Fortschritt, gesellschaftlicher Entwicklung und kulturellem Wandel forscht. Im aktuellen Videointerview erklärt Grunwald die erreichten Ziele der Kommission, die nächsten Schritte hin zu einem Endlager und wie man die Bevölkerung an den möglichen Standorten in das Verfahren einbinden sollte.

     

     

    In der Kommission wurden neben den technischen Kriterien auch zahlreiche gesellschaftliche Fragen adressiert. Die Kommission sollte einen gesellschaftlichen Konsens in der Frage der sicheren Endlagerung finden. Die Themen reichten von der Akzeptanz der Standortsuche und Beteiligung der Bevölkerung, über geeignete Entscheidungskriterien bis hin zu Ethik und Gerechtigkeit dieser generationenübergreifenden Aufgabe. Grunwald saß innerhalb der Kommission der Arbeitsgruppe „Gesellschaftliche und technisch-wissenschaftliche Entscheidungskriterien sowie Kriterien für Fehlerkorrekturen“ vor.

     

     

    Abseits der Kamera gab Grunwald, Leiter des Instituts für Technikfolgenabschätzung und Systemanalyse (ITAS) des KIT, auch einen Einblick in die Kommissionsarbeit:

     

    Wieviel Arbeitsaufwand war denn mit Ihrer Arbeit in der Kommission verbunden?

     

    Grunwald: Unglaublich viel. Zunächst gab es eine eintägige Sitzung in Berlin pro Monat. Dann wurden jedoch die Arbeitsgruppen gebildet, von denen ich eine leitete und in zwei weiteren Mitglied war. Schließlich wurde ich auch gebeten, in der Arbeitsgruppe mitzuwirken, die die Zusammenfassung des 500-seitigen Berichtes erstellt hat. Es gab Phasen, in denen drei Tage die Woche Kommissionsarbeit anstand, was sich natürlich mit meinen Verpflichtungen am KIT überschnitt. Es war also ein unglaublicher Aufwand.

     

    Worin lag der begründet?

     

    Grunwald: Die Komplexität des Themas ist hoch. Etwa die rechtlichen Fragen, oder wie man überhaupt Behörden einrichtet, sodass keine Betriebsblindheit einkehrt, man denke nur an die Asse. Die Komplexität ist ein ganz zentraler Grund, warum es so viel Arbeit war.

     

    Die Endlagerdiskussion wird in Deutschland kontrovers geführt, teilweise wollten Akteure gar nicht in der Kommission mitarbeiten. Wie war die Arbeitsatmosphäre auf den Kommissionsitzungen? Eher sachlich oder eher kontrovers?

     

    Grunwald: Beides, je nach Ausrichtung. Wenn wir nach vorne gedacht haben, also ein neues Verfahren entwickelten, wie wir zu einer Standortentscheidung kommen, dann war es sehr konstruktiv und die Kontroversen wurden sachlich ausgetragen und Kompromisse geschlossen. Was nicht funktioniert hat, war der Blick in die Vergangenheit. Aus den Diskussionen der letzten 40 Jahre gab es noch Wunden, die zu Streit und lauten Worten geführt haben. Wir haben es letztlich nicht geschafft, zu einer gemeinsamen Bewertung der Vergangenheit zu kommen. Hier gibt es im Bericht auch zwei Stellungnahmen, eine aus Sicht der Wirtschaft und Teilen der Politik und eine aus der Sicht der Bürgerinitiativen und anderen Teilen der Politik, die nebeneinanderstehen und den Konflikt dokumentieren. Im Ergebnis hat uns das aber nicht geschadet. Natürlich hat es Zeit gekostet und die Stimmung manchmal kaputtgemacht. Aber in Bezug auf das Ergebnis, für den Blick nach vorne hat es nicht geschadet. Denn es war beiden Seiten nach vielen Diskussionen klar, welche Lehren wir für die Zukunft ziehen müssen. Obwohl die Diagnosen mit dem Blick auf die Vergangenheit unterschiedlich waren, war man sich in den Maßnahmen für die Zukunft letztlich doch weitgehend einig.

     

    Bürgerinnen und Bürger waren explizit aufgefordert, sich in die Diskussion der Kommission einzubringen. Wie haben Sie die Beiträge der Bürger erlebt?

     

    Grunwald: Ich war zunächst ein Gegner dieser hundertprozentigen Transparenz, weil ich der Meinung war, dass es die Arbeitsfähigkeit unterminiert. Einige Mitglieder waren ja Interessenvertreter, sei es der Wirtschaft oder der Bürgerinitiativen. Wenn deren Klientel live zugucken kann, dann traut sich ja keiner auch Dogmen infrage zu stellen und Kompromisse zu erörtern, weil man fürchtet, dass abends der Shitstorm aus der eigenen Community auf einen wartet. Und im ersten Jahr war es vielleicht sogar so. Erst danach haben wir gelernt, besser zu ignorieren, dass ständig Kameras auf uns gerichtet sind.

     

    Über die Fernsehübertragung der Sitzungen kam aus meiner Sicht auch nicht so viel direkte Bürgerbeteiligung. Mehr kam über die Veranstaltungsformate, etwa Regionalkonferenzen, Formate mit Schülern und Studenten, die Fachkonferenzen. Da ist eine sehr schöne Partizipation erfolgt, da haben sich viele Leute ernsthaft mit den Texten und Entwürfen auseinandergesetzt und haben uns an mehreren Stellen zum Nachdenken gebracht, sodass sich das eine oder andere noch geändert hat.

     

    Der technologische Fortschritt führt zu zahlreichen Themen, in der gesellschaftliche Akteure kontroverse Standpunkte vertreten, etwa Energiewende, Stammzellen, Nanotechnik, Autonomes Fahren, Synthetische Biologie, Big Data, etc. Lassen sich aus der Arbeit der Endlagerkommission Lehren ziehen, wie wir als Gesellschaft diese Technologien begleiten sollten und vielleicht sogar Konsens erreichen?

     

    Grunwald: Ich glaube ja, aber es ist umgekehrt. Die Endlagerkommission ist der Ausdruck davon, dass die Gesellschaft bereits gelernt hat, wie man mit Technik, Fortschritt, Transparenz, Beteiligung und Gerechtigkeit umgehen muss. Und nun hat sie dies schlicht für den Fall der Endlagerung nachgeholt. An der Atomenergie hat man ja immer wieder kritisiert, dass nicht bis zum Ende gedacht wurde. Es galt die schöne Metapher vom Flugzeug, das gestartet ist, ohne dass ein Landesystem installiert wurde, voller Vertrauen darauf, dass, wenn es erstmal oben ist, man schon etwas erfinden wird, wie man heil runterkommt. Die Kernenergiedebatte hat gezeigt, dass das kein gutes Verfahren ist. Und sie war mit der Startschuss der Technikfolgenabschätzung, die nun die neuen Technologien wie Big Data und Synthetische Biologie schon sehr früh begleitet. Es gilt früh, im engen Kontakt mit der Bevölkerung über die möglichen Folgen nachzudenken. In dem Sinne, dass man bis ans Ende denkt. Die Kommission hat in gewisser Weise die Klammer geschlossen, die mit der Anti-Atombewegung geöffnet wurde, und die eine Lernkurve von 40 Jahren im gesellschaftlichen Umgang mit Technologiefolgen umfasst.

     

    Für weitere Informationen stellt die Abteilung Presse des KIT gern den Kontakt zu Armin Grunwald her. Bitte wenden Sie sich an Kosta Schinarakis, Tel. 0721 608-41956, schinarakis@kit.edu oder an das Sekretariat der Abteilung Presse, Tel. 0721 608-47414, E-Mail an presse@kit.edu.


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    Freundliche Grüße

     

    Karlsruher Institut für Technologie (KIT)
    Presse, Kommunikation und Marketing

    Monika Landgraf
    Pressesprecherin, Leiterin Presse

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