
Markt und Moral - Prof. Nora Szech
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Billig-T-Shirt oder Fairtrade-Ware? Fleisch aus Massentierhaltung oder doch aus dem Biobetrieb? Die Professorin für Politische Ökonomie untersucht, wie Mechanismen des Marktes die Entscheidungen von Menschen beeinflussen.
Wie der Markt bei Kaufentscheidungen beeinflusst
Verbraucherinnen und Verbraucher können wählen: Sie können ein billiges T-Shirt kaufen, das unter unwürdigen Arbeitsbedingungen genäht wurde, oder ein fair hergestelltes und gehandeltes Kleidungsstück. Im Supermarkt können sie zu Fleisch aus Massentierhaltung greifen oder auf Bio-Label achten. „Sobald Menschen miteinander verhandeln, bricht eine regelrechte Wühltischmentalität aus – moralische Werte werden dabei kurzzeitig ausgeblendet“, sagt Nora Szech. „Im Markt, zusammen mit anderen, verhalten sich also viele Konsumierende rücksichtsloser als außerhalb des Marktes als Einzelpersonen.“ Die Ökonomin vom Institut für Volkswirtschaftslehre des KIT erklärt dieses empirisch nachweisbare Phänomen damit, dass der einzelne in einer Gruppe von Handelnden das Gefühl habe, Verantwortung und Schuld zu teilen. „Zudem fixieren Menschen in Märkten auf den Profit, nicht auf moralische Konsequenzen“, so Szech. Verschiedene Gruppen unterschieden sich jedoch voneinander, so hielten Frauen in der Regel stärker an ihren moralischen Werten fest: „Frauen haben einen stärkeren moralischen Kompass.“
Ein Forschungsschwerpunkt der Wirtschaftswissenschaftlerin gilt der Frage, ob und in welcher Weise institutionelle Mechanismen dazu beitragen können, dass sich Marktbeteiligte moralisch, eigenverantwortlich und prosozial verhalten. „Wir müssen vom homo oeconomicus zum homo moralis“, stellt sie fest. Wie sich Moral und Markt zueinander verhalten, untersucht die Expertin unter anderem mit dem Mittel der Experimentalforschung und der behavioralen Theorie, die sich mit dem Verhalten der Menschen befasst. So lässt sie Probanden beispielsweise zwischen Eigennutz in Form eines Geldbetrags und dem Leben einer Maus abwägen. Individuell entscheidet sich die Mehrheit gegen das Geld und rettet damit die Maus. Auf Märkten ist dagegen für drei von vier Menschen das Mäuseleben verhandelbar, um Profit zu machen. Am KIT steht für solche Experimentalstudien das Karlsruhe Decision and Design Lab (KD2Lab) zur Verfügung: In dem Labor können Forschende mithilfe diverser, auch psycho-physiologischer Messinstrumente und Virtual Reality analysieren, wie sich verschiedene Marktdesigns und Institutionen auf das Entscheidungsverhalten auswirken.
Die Wissenschaftlerin, die 2011 mit dem Reinhard-Selten-Preis des Vereins für Socialpolitik ausgezeichnet wurde, forscht auch als Fellow am Wissenschaftszentrum Berlin für Sozialforschung (WZB) interdisziplinär zum Thema Markt und Entscheidung. „Die Ökonomie hat die moralische Dimension eine Zeit lang anderen Wissenschaften überlassen, das muss sich dringend wieder ändern“, meint Szech. Es gelte, die individuelle Verantwortung von Personen in den Vordergrund zu stellen und bewusst zu machen, dass die Handlungen jedes Einzelnen Auswirkungen haben. Die Ökonomin, über deren Forschung verschiedene nationale und internationale Medien berichten, wurde 2018 vom Magazin Capital zur „Jungen Elite“ gezählt und in der Kategorie Gesellschaft und Wissenschaft mit der Aufnahme in die „Top 40 unter 40“ ausgezeichnet. (afr)
Der Presseservice des KIT stellt gerne den Kontakt zwischen den Medien und Prof. Nora Szech her.
Fotonachweis:
Foto Pullover: Riccardo Prevete, KIT
Porträt Prof. Nora Szech, Politische Ökonomie: Privat